29.02.2020 - Jannis KaragezovMit dem Klavier nach Paris
Unsere Busreise nach Paris war aufregend. Es sollte früh um fünf losgehen, aber wir hatten lange
zu tun, unser vieles Gepäck und unsere Ausstellungsmaterialien in den Bus zu laden.
Selbst ein Klavier musste mit!
Die Fahrt dauerte witterungs- und verkehrsbedingt länger als geplant: wir trafen erst gegen 20 Uhr
im Pariser Vorort Yerres ein und wurden herzlich von unseren Gastfamilien begrüßt. Den ersten
Abend verbrachten wir in den Familien und konnten gleich unsere Französischkenntnisse
anwenden.
Ziel unserer Reise war das Treffen mit Monsieur Bernard Nusbaum und die Zusammenarbeit mit
den französischen Schülern an unserem gemeinsamen Geschichtsprojekt zum Thema
Antisemitismus während der Nazizeit und heute.
Den ganzen nächsten Tag verbrachten wir mit den französischen Schülern in der Partnerschule,
trafen den Zeitzeugen Monsieur Nusbaum, der uns seine beeindruckende Lebensgeschichte
erzählte. Wir präsentierten unser vorbereitetes Programm bestehend aus Gesang,
Instrumentalstücken, einem Poetry Slam und einem selbstgeschriebenen Theaterstück. Schon im
Vorfeld hatten wir eine Ausstellung in französischer Sprache zu der Razzia am 16./17. Juli 1942
erstellt. Diese beeindruckte unsere französischen Gastgeber in besonderer Weise. In
Arbeitsgruppen mit den französischen Schülern diskutierten wir über Ängste, Wünsche und
Hoffnungen für die Zukunft.
Der Zeitzeuge war vier Jahre alt, als er und seine Mutter Ida 1942 mit tausenden anderen Pariser
Juden ins Vélodrome d’Hiver (eine ehemalige Radrennbahn) verschleppt wurde. Von dort konnten
Beide in ein nahe gelegenes Café flüchten. Dabei hatten ihnen zwei französische Polizisten
geholfen. Mutter und Sohn entgingen so der Deportation, aber es folgten Jahre voller Angst vor
einer Entdeckung im Versteck. Seinen Vater, der im KZ Auschwitz umkam, sah er nie wieder. Als
Erinnerung hat er sich später dessen KZ-Nummer tätowieren lassen. Den beiden Polizisten, ihren
Lebensrettern, waren sie sehr dankbar und haben jahrelang versucht, diese ausfindig zu machen,
um ihnen persönlich zu danken. Dazu kam es erst 2005. Nach dem Tod von Mutter Ida,
begegneten sich einer der Polizisten und Bernard Nusbaum zufällig bei einer
kommunalpolitischen Veranstaltung.
Sehr interessant für uns war auch die Besichtigung des jüdischen Stadtviertels “Le Marais”, das
wir am folgenden Tag besichtigten. Auch heute lebt dort ein Großteil der jüdischen Bevölkerung
von Paris. Wir sahen Synagogen, jüdische Schulen, Kindergärten und Geschäfte, in denen z.B.
koschere Lebensmittel verkauft werden.
Am Nachmittag haben wir dort auch das jüdische Museum “Le Memorial de la Shoah” besichtigt.
Dies ähnelte einem Hochsicherheitstrakt. Wir haben einen sehr guten Überblick von den Anfängen
der Judenverfolgung bis zu der Anfeindung jüdischer Bevölkerung in der Gegenwart bekommen.
Die Ausstellung ist sehr anschaulich, vor allem durch zahlreiche Fotodokumente und
Videoprojektionen. Dieses Museum hat sicherlich bei jedem von uns einen bleibenden Eindruck
hinterlassen. Man wird sehr nachdenklich, wenn man mit so vielen Einzelschicksalen konfrontiert
wird. Die Worte von Monsieur Nusbaum kreisten in unseren Köpfen: “Geschichte ist wie Mode, sie
wiederholt sich in ähnlicher Form”. So lange es seine Gesundheit erlaubt, wird er solche Projekte
wie das Unsere unterstützen und wir werden unser Bestes geben, seine Geschichte
weiterzutragen.
Auch der Namensgeber unseres Gymnasiums, Richard von Weizsäcker, hat sich in seiner
Festrede vom 8. Mai 1985 zu diesem Thema geäußert: “Die Jungen sind nicht verantwortlich für
das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus
wird.“ Genau das ist der Sinn solcher Austauschprojekte: wer sich kennt, achtet einander und
wird sich nicht anfeinden. Jeder ist fast überall auf der Welt zunächst einmal ein Fremder. Wer das
begriffen hat, geht mit mit Andersdenkenden um wie mit seines Gleichen.
Eigentlich wollten wir am Samstag den Pariser Stadtteil Montmartre besichtigen. Davon mussten
wir leider wegen politischer Unruhen im Pariser Stadtzentrum Abstand nehmen. Stattdessen sind
wir, nachdem wir uns Samstag früh von unseren Gastfamilien mit einem gemeinsamen Frühstück
beim Bürgermeister verabschiedet hatten, nach Versailles gefahren und haben dem Sonnenkönig
einen Besuch abgestattet. Wir konnten ausgiebig sein imposantes Schloss und die Gärten
besuchen und waren von der Größe und dem Prunk beeindruckt. Von dort ging es abends nach
Hause. Früh um acht kamen wir müde und erschöpft aber um viele Eindrücke reicher in Thale an.
Es war ein kurzer, dennoch sehr interessanter Aufenthalt in Frankreich, der uns lange in
Erinnerung bleiben wird.
Wir bedanken uns bei den mitreisenden Lehrern und den Unterstützern dieses Projektes."Das Projekt wurde durch die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" gefördert. Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung der Stiftung EVZ dar. Für die inhaltlichen Aussagen trägt der Autor die Verantwortung."